Kostenbewusste Konstruktion: Physik Instrumente rollt simus classmate aus

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Bei einem Einkaufsvolumen von mehreren Millionen Euro pro Jahr für Zerspanungsteile sollten die Produktentwickler bestens über deren Herstellkosten informiert sein; denn diese werden, nach der bekannten Faustregel, zu 80 Prozent in der Phase der Produktentwicklung festgelegt. Physik Instrumente (PI) in Karlsruhe führt dazu simus classmate ein und integriert so wirkungsvolle Kostenkontrolle direkt in das CAD-System.

Mit mehr als 50 Jahren Erfahrung in der Nanopositionier- und Piezotechnologie, einem sich ständig weiterentwickelnden Produkt- und Technologieportfolio sowie tiefgreifendem Anwendungswissen für die Automatisierung von Präzisionsbewegungen verhilft Physik Instrumente (PI) seinen Kunden in der Halbleiterindustrie, in Mikroskopie und Biowissenschaften, Photonik und in der industriellen Automatisierung zu Technologiesprüngen: Die Positioniersysteme mit eigener Piezokeramik und Luftlagersystemen spielen beispielsweise in der Gensequenzierung, Halbleiterfertigung, hochpräzisen Inspektionsverfahren und vielen weiteren Hightech-Anwendungen eine Rolle. Von den weltweit 1300 Mitarbeitern sind etwa ein Drittel mit Forschung und Entwicklung, rund ein weiteres Drittel mit der Fertigung beschäftigt. An neun Fertigungsstandorten, davon vier in Deutschland, entstehen die Produkte für den Weltmarkt. In der Herstellung konzentriert man sich auf die Kernexpertise, etwa Piezotechnologien, Antriebstechnologien, Sensorik, Führungen und Kraftübertragung sowie die Montage der Produkte. In der mechanischen Fertigung liegt der Eigenanteil nur im einstelligen Prozentbereich, überwiegend Bauteile mit höchsten Toleranzanforderungen und Versuchsmuster. Der weitaus größere Teil der Dreh- und Frästeile wird extern beschafft, das jährliche Einkaufsvolumen beträgt mehrere Millionen Euro.

Hexapod Inspect Award H-860-2 Physik Instrumente

Der Hexapod H-860 von Physik Instrumente wurde zum Testen der Bildstabilisierungsfunktion in Kamerasystemen, Smartphones und Kameramodulen entwickelt.

Umständliche Kostenkontrolle

„So notwendig eine Kostenkontrolle unter diesen Umständen ist, so ineffektiv gestaltete sich der Prozess in der Praxis“, berichtet Thomas Kuhne, der bei PI in einer Stabsfunktion für Operational Excellence tätig ist. Die Kostenvorgaben waren oft ebenso unbekannt, wie die aktuellen Beschaffungspreise. Um Kostenvorgaben zu überprüfen, mussten Bauteile in Solid Works konstruiert und Fertigungszeichnungen erstellt werden. Anschließend konnte der Einkauf Anfragen bei Lieferanten stellen und die Vorkalkulation der Komponenten an die Entwicklung geben. Die Zeichnungserstellung musste vollständig abgeschlossen und an den Einkauf weitergegeben werden, um zu einer Kostenabschätzung zu gelangen. Bis die Ergebnisse in Form von Angeboten vorlagen, war die Entwicklung mit einer Kaskade von abhängigen Bauteilen eigentlich bereits abgeschlossen. „Konstruiert wurde bei uns oft aus Sicht der technischen Lösung“, sagt Thomas Kuhne. „Die preisliche Einordnung über Lieferantenanfragen war umständlich und gab vor allem wenig Aufschluss über die wesentlichen Kostentreiber bei der Fertigung der einzelnen Teile.“

Die Zielvorstellung

Ein Kollege im Leitungsteam von PI machte auf die Software simus classmate aufmerksam, die nach firmenspezifischer Anpassung anhand von CAD-Modellen stimmige Arbeitspläne erstellt und die Arbeitsgänge automatisch kalkuliert. Anhand der Geometrieobjekte werden Informationen zu Parametern wie Abmessungen und Oberflächengüten ermittelt. Damit bestimmt die Anwendung im nächsten Schritt automatisch die Technologien und Rahmenbedingungen für die Fertigung. Anhand des Rohmaterials, der Geometrie und der Arbeitsabfolge werden die Zeiten und darüber die Kosten berechnet. Durch Integration mit dem CAD-System können Konstrukteure direkt aus der CAD-Oberfläche heraus Bauteile kalkulieren und bekommen innerhalb von Sekunden eine aussagekräftige Kostenübersicht des Bauteils, mit Informationen über die Kostentreiber, die Rüst- und Bearbeitungszeiten angezeigt.

„Das war für uns ein echter Produktivitätssprung. Auf diese Weise verfügen Entwickler jederzeit über Kosteninformationen, Einkäufer können anhand der technischen Informationen qualifiziert anfragen und verhandeln“,

berichtet Thomas Kuhne.

Nach einer Präsentation der Lösung erarbeitete simus systems einen Projektvorschlag für die Einführung der Software bei PI, der angenommen wurde.

Einführung in zehn Monaten

Ende Februar 2020 begann das Projektteam um Thomas Kuhne mit einem Einkäufer, einem Konstrukteur und zwei Mitarbeitern von simus systems mit den Vorbereitungen. Die Hauptaufgabe bestand darin, die zahlreichen Besonderheiten der zehn zu berücksichtigenden Fertigungsverfahren in die von simus systems eingebrachte Standard-Datenbank zu implementieren. Dazu gehörten das Erodieren von komplexen Geometrien zum Herstellung sehr flexibler Gelenke, das Drehen und Fräsen, Blechbearbeitung und Oberflächenbehandlung. Jeden Monat nahm sich das Team ein Verfahren vor, um bis Ende November das Projekt abzuschließen. „Das haben wir trotz der negativen Einflüsse der Pandemie geschafft“, freut sich Thomas Kuhne. „Alle Projektsitzungen wurden online durchgeführt, danach gab es Anpassungen durch Regeländerungen, die schließlich zu Festlegungen für jedes Verfahren geführt haben.“ Anschließend wurden rund 30 Nutzerlizenzen implementiert und die verschiedenen Anwendergruppen geschult.

„Die Projektbegleitung durch simus systems war sehr professionell, die vorbereiteten Standard-Daten und viele individuelle Unterlagen haben uns sehr geholfen“,

sagt Thomas Kuhne.

Ab Januar 2021 wurde die neue Lösung zur Nutzung freigegeben.

Von drei Wochen auf drei Minuten

Nun haben die Konstrukteure direkt in SolidWorks die Möglichkeit, den classmate FINDER aufzurufen und die Kosteninformationen zum aktuellen Bauteil aufzurufen. Kostentreiber werden farblich markiert, Lerneffekte durch die Überprüfung mehrerer Varianten sind vorprogrammiert.

Kostenkalkulation mit classmate PLAN

Kostentreiber auf den ersten Blick erkennen – direkt aus dem CAD-System heraus!

 

 

„Für den bisherigen Prozess der Kostenprüfung mit mehreren Lieferantenanfragen, ohne echten Beschaffungsfall, mussten wir bis zu drei Wochen veranschlagen“,

sagt Thomas Kuhne.

„Nun erreichen die Konstrukteure das Ziel in wenigen Minuten. Die Angebotserstellung für die Kunden wurde dadurch ebenso beschleunigt. Vor allem können wir nun bereits im Designprozess Einfluss auf die Kosten nehmen.“

Immer noch werden die Ergebnisse der Vorkalkulation anhand von Angeboten überprüft. „Wo wir Abweichungen nachgegangen sind, haben wir die Ursachen gefunden und ein Merkblatt für die Konstrukteure erstellt“, berichtet Kuhne. Doch nicht nur in der Konstruktion entfaltet sich der Nutzen von simus classmate, auch der Einkauf profitiert davon. Dazu werden die Bauteildaten aus der Entwicklung per Kalkulationstabelle an den Einkauf gegeben. Damit werden Verhandlungen faktenbasiert geführt, „Marktpreise“ ermittelt oder auch Staffelpreise berechnet.

„Insgesamt stellen wir weniger Lieferantenanfragen und sparen Aufwand bei Routinetätigkeiten. Die gewonnene Zeit nutzen wir für Potenzialanalysen von vorhandenen Bauteilen“,

berichtet Thomas Kuhne.

Weiterer Ausbau geplant

Zurzeit prüft die Leitung den Einsatz der Lösung in weiteren Wertströmen. Da sich die wichtigen Toleranzangaben oft nur als Annotationen auf Zeichnungen befinden, nicht als Product Manufacturing Information (PMI) in den 3D-Modellen, müssen die Konstruktionsrichtlinien angepasst werden. Doch im kommenden Jahr kann simus classmate an weiteren Standorten des Unternehmens ausgerollt werden. Über die Kalkulation von Bauteilen hinaus würde sich die Lösung auch zur Gleichteilsuche und Steigerung der Wiederverwendung eignen. Weitere Ausbaumöglichkeiten sieht Thomas Kuhne in einer PDM-/ERP-Integration mit einer Klassifizierung der Stammdaten, sowie einer PI-spezifischen Einkaufsklassifikation. Dies könnte schließlich dazu führen, die Vorkalkulation in den Freigabeprozess eines Bauteils einzubetten.

„Wir sehen in diesen Digitalisierungs- und Automatisierungsprojekten große Potenziale und werden diese angehen, soweit es unsere personellen Kapazitäten erlauben.“

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